Fachkräftemangel: Deutschland muss das Epizentrum der beruflichen Weiterbildung werden

Informierten bei einer Veranstaltung im Innotec Pforzheim vor Führungskräften über die Notwendigkeit von Weiterbildung (von links) als Zukunftsinvestition: Veronika Glenk (TraFoNetz), Uwe Müller (Arbeitsagentur), Lidia Niestoruk (TraFoNetz), Annette Hanfstein und Alexandra Jung (Arbeitsagentur), Ipek Güler (AgenturQ) und Svea Taube (TraFoNetz). ©Foto:GerdLache

Von Gerd Lache | 05.07.2024

„Fordern Sie uns“, ermunterte Annette Hanfstein die Führungskräfte. Bei Fragen zu beabsichtigten Qualifizierungen von Mitarbeitenden sollten sie ohne Zögern auf die Arbeitsagentur zugehen. Zum Thema berufliche Weiterbildung nannten die Geschäftsführerin Operativ der Agentur für Arbeit Nagold-Pforzheim und ihr Team bei einer Informations- und Netzwerkveranstaltung im Innotec Pforzheim mehrere Beispiele, wie Unternehmen unterstützt werden können.

Ermuntert die Unternehmensvertreter der Region zum Kontakt mit der Arbeitsagentur Nagold-Pforzheim: Annette Hanfstein, Geschäftsführerin Operativ. ©Foto:GerdLache

Die Bundesagentur für Arbeit hat eine Qualifizierungsoffensive gestartet. So gibt es beispielsweise das sogenannte Qualifizierungsgeld. Voraussetzung dafür ist, dass der strukturwandelbedingte Qualifizierungsbedarf einen wesentlichen Teil der Belegschaft betreffe.

Das Gesetz zur Stärkung der Aus- und Weiterbildungsförderung habe zum Ziel, der beschleunigten Transformation der Arbeitswelt zu begegnen, strukturwandelbedingte Arbeitslosigkeit zu vermeiden, Weiterbildung zu stärken und die Fachkräftebasis zu sichern.

Je nach Programm, Betriebsgrößte und Weiterbildungsart übernimmt die Arbeitsagentur in der Spitze bis zu 100 Prozent der Kosten für die Lehrgänge sowie das Arbeitsentgelt des Beschäftigten während seiner Weiterbildung.

Keine Standardlösungen von der Stange, sondern individuelle Beratung, das verspricht Alexandra Jung von der Arbeitsagentur den Führungskräften, die sich für Weiterbildung interessieren. ©Foto:GerdLache

„Es gibt nicht das Schema F“, sagte Alexandra Jung von der Arbeitsagentur. Im Zweifel sollte mit dem Arbeitgeber-Service der Agentur Kontakt aufgenommen werden: „Rufen Sie an, wir sprechen in Ruhe darüber.“ Bevor ein Unternehmen in Kurzarbeit gehe, solle es prüfen, ob Qualifizierung und Weiterbildung geeignete Alternativen sein könnten. Jungs Kollege Uwe Müller machte deutlich, dass die Arbeitsagentur inzwischen auch eine Beratungsagentur sei, die „nicht nur mit Konzepten aus der Schublade unterstützen kann“.

Ebenfalls im Innotec mit dabei: Die AgenturQ, eine gemeinschaftliche Einrichtung von IG Metall und Südwestmetall. Sie schöpft aus einem umfangreichen Fundus an Weiterbildungsmöglichkeiten. Zu ihren Aufgaben gehört: Unternehmen und Betriebsräte  zu informieren und zu unterschiedlichen Themen der Weiterbildung zu beraten. Dazu gehöre eine Erstberatung zu Fördermöglichkeiten sowie die Entwicklung von Konzepten, die dann übergehen in die Zusammenstellung eines „Werkzeugkoffers“, aus dem sich Unternehmen und Betriebsräte bedienen können.

Beim Transformationsnetzwerk Nordschwarzwald zuständig für den Bereich Fachkräftegewinnung und Fachkräftesicherung: Lidia Niestoruk. ©Foto:GerdLache

Beide Institutionen sind aktive Mitglieder im Transformationsnetzwerk TraFoNetz Nordschwarzwald, ein Projekt unter dem Dach der Wirtschaftsförderung Nordschwarzwald, das sich zum Ziel gesetzt hat, die Unternehmen der Region und ihre Beschäftigten bei der Bewältigung der Transformation zu unterstützen. Als eine der wichtigen Maßnahmen sieht das 15-köpfige TraFoNetz-Team die Weiterbildung mit all ihren Facetten. Insbesondere für diesen Bereich beim Transformationsnetzwerk zuständig sind Lidia Niestoruk (mit Schreibtisch im Haus der Arbeitsagentur in Pforzheim) sowie Veronika Glenk und Svea Taube mit Dienstsitz bei der AgenturQ in Stuttgart.

Ipek Güler von der AgenturQ machte klar: „Unternehmen brauchen eine Weiterbildungsstrategie.“ Sie müssten sich dazu im Klaren sein, wohin ihre Reise gehen soll. Betriebsrat und Personalabteilung sollten die Aufgabe gemeinsam stemmen. Die AgenturQ helfe, entsprechende Schritte zu entwickeln, sagte Güler. Unter anderem nannte sie den Q-Monitor, eine Checkliste zur Überprüfung des Weiterbildungsbedarfs in Unternehmen. Beispielsweise könnten daraus Erkenntnisse gewonnen werden, wie gut ein Unternehmen aufgestellt ist.

Unternehmen brauchen eine Weiterbildungsstrategie, sagt Ipek Güler von der AgenturQ. ©Foto:GerdLache

Eric Thode von Bertelsmann untermauerte die Notwendigkeit von Weiterbildung mit aktuellen Studienergebnissen. Demnach schrumpfe die Erwerbsbevölkerung in Deutschland in dramatischem Ausmaß. Nicht genug mache die tiefgreifende Transformation bestehende Jobs überflüssig, lässt allerdings auch neue entstehen. „Viele Erwerbstätige werden von großen Veränderungen am Arbeitsplatz betroffen sein.“

In Summe, so Thode, gingen zwar keine Arbeitsplätze verloren, aber es würden andere sein. Mehr noch: Vorausberechnungen bis zum Jahr 2040 ergeben, dass die Zahl der Arbeitsplätze, die im Strukturwandel neu geschaffen werden, höher sein werde, als die Zahl der Arbeitsplätze, die verloren gingen.

Der Fachkräftemangel ist der Bertelsmann Stiftung zufolge struktureller Natur. Er werde sich weiter verschärfen. Im Jahr 2023 konnten mehr als 570.000 offene Stellen für Fachkräfte nicht besetzt werden, weil keine entsprechend qualifizierten Arbeitslosen in den jeweiligen Berufen zur Verfügung gestanden hätten. Dem Arbeitsmarkt werden laut Bertelsmann bis Anfang der 2030er Jahre mindestens drei Millionen Menschen fehlen.

Wie sieht die Zukunft des Arbeitsmarkts aus? Darüber informierte Eric Thode von der Bertelsmann Stiftung. ©Foto:GerdLache

Indes: „Berufliche Weiterbildung ist zwar ein großer Hebel, den Fachkräftemangel zu lindern – vorausgesetzt, bestehende Hürden können überwunden werden“, erklärte Thode. Er machte aber auch deutlich, dass dies nur einer von mehreren Lösungsansätzen sei. Kein einzelner davon sei das Allheilmittel.

Weitere Lösungsansätze sind Thode zufolge:

  • Anpassung der Löhne und Arbeitsbedingungen an neue Knappheitsverhältnisse
  • Zuwanderung und Integration
  • Inländisches Erwerbspotenzial steigern
  • Wöchentliche (oder jährliche) Arbeitszeit allgemein erhöhen
  • Erwerbsbeteiligung und Erwerbsumfang von Geringqualifizierten, Frauen und Älteren 55+ weiter steigern
  • Lebensarbeitszeit von Älteren und Erwerbsgeminderten erhöhen
  • Arbeitslose und arbeitsmarktferne Gruppen in Beschäftigung bringen
  • Produktivität der vorhandenen Arbeitskräfte steigern
  • Verstärkter Einsatz von Digitalisierung und (generativer) künstlicher Intelligenz
  • Besseres Matching von Arbeitskräften zu Arbeitsplätzen (berufliche und räumliche Mobilität)
  • Und eben nicht zuletzt: Die berufliche Weiterbildung

Das Transformationsnetzwerk TraFoNetz Nordschwarzwald unter dem Dach der Wirtschaftsförderung Nordschwarzwald (WFG) ist die größte regionale Gemeinschaftsinitiative zur kostenfreien Unterstützung der Automotive-Unternehmen und ihrer Beschäftigten im Nordschwarzwald. Gefördert wird sie vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Ziel ist es, die Transformation im Automobilbereich erfolgreich zu meistern und damit den Standort Nordschwarzwald und die Arbeitsplätze zu sichern.

TraFoNetz-Partner sind unter anderem die Arbeitsagentur Nagold-Pforzheim, die Hochschule Pforzheim, die AgenturQ mit Südwestmetall und IG Metall, die IHK Nordschwarzwald, die Handwerkskammern Karlsruhe und Reutlingen, e-mobil BW, IAB Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung sowie Steinbeis InnoBW, wvib Wirtschaftsverband und weitere.

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