Von Gerd Lache | 02.12.2023
„Besinnliche Vorweihnachtsstimmung kommt für die Mehrzahl der Automobilzulieferer derzeit nicht auf“, resümiert Dr.-Ing. Gerrit Christoph in einem LinkedIn-Beitrag. Der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des Wirtschaftsverbandes wvib Schwarzwald AG und Leiter des wvib-Clustermanagements stellte nach einer Sitzung des Automotive-Beirats der Schwarzwald AG fest: „Ob es die Kostensituation, die schwankende Auftragslage, steigende Regulierungen oder die mangelnde Kompromissbereitschaft innerhalb der Lieferkette ist – der Gegenwind bläst wechselnd stark aus verschiedenen Richtungen.“ Und dennoch verspüre er Leidenschaft und Optimismus bei den rund 300 Automobilzulieferern des Verbandes mit seinen insgesamt rund 1000 Mitgliedsunternehmen.
Schon zuvor stellte wvib-Hauptgeschäftsführer Dr. Christoph Münzer fest: „Automotive ist keine Branche für Menschen mit schwachen Nerven.“ Münzer gehört zum 28-köpfigen, hochkarätig besetzten Transformationsbeirat von TraFoNetz Nordschwarzwald. Übrigens: Dieser Beirat tagt am 6. Dezember 2023 unter Vorsitz von KI- und Automotive-Experte Professor Dr. Bernhard Kölmel (Hochschule Pforzheim) im TurmQuartier der Sparkasse Pforzheim Calw.
Für Rolf Geisel dürfte nach Münzers Feststellung gelten, dass er außerordentlich starke Nerven hat. Der Träger der Wirtschaftsmedaille des Landes Baden-Württemberg und langjähriger Geschäftsführer der Boysen Gruppe geht die Transformation in seinem Unternehmen mit enormer Energie an.
Mit Abgastechnik sind die Schwarzwälder groß geworden. Der Wandel zur E-Mobilität wird diese Sparte über kurz oder lang überflüssig machen. Eine von mehreren Boysen-Reaktionen auf diese Entwicklung: Die Fertigung von Batteriegehäusen für E-Fahrzeuge. Unlängst hat sich die Boysen Gruppe bereits den zweiten Großauftrag gesichert und damit „einen weiteren entscheidenden Meilenstein auf ihrem Transformationsweg gesetzt“, wie das Unternehmen vermeldete. Wasserstoff und Batterietechnologie sind weitere Transformations-Themen des Unternehmens.
„Man braucht zwar Energie, Entwicklungen und andere Thematiken“, um die Transformation zu meistern, betont Geisel in dem ARD-Beitrag. Aber: „Am Ende braucht man auch Kapital. Und das wird ein schwieriger Weg sein, das Kapital für so einen Mittelständler zu beschaffen, um für unsere Zukunft einen Weg und für die Arbeitsplätze in unserer Region sicherzustellen.“ Um die Herausforderungen der Transformation zu bewältigen und die Arbeitsplätze bei Boysen langfristig zu erhalten, geht Geisel „für die nächsten zehn Jahre von einem erforderlichen Investitionsvolumen in Höhe von 1,5 Milliarden Euro aus“.
Insbesondere im Hinblick auf den Auto-Gipfel zwischen Politik und Wirtschaft im Kanzleramt erklärt Geisel: „Wenn wir zum richtigen Zeitpunkt jetzt mal vorwärts gehen und die Politik richtige Weichen stellt, dann gehe ich davon aus wird auch in Zukunft unserer Automobilindustrie auf der Welt eine Chance haben.“
Laut dem Auto-Experten Professor Stefan Bratzel ist es vor allem wichtig für die deutschen Hersteller, dass die Kosten für die E-Mobilität sinken, wie er in dem Tagesschau-Beitrag sagte. Zur Erinnerung: Unlängst war Bratzel Keynote-Speaker bei der Lounge-Veranstaltung des Transformationsnetzwerks Nordschwarzwald (TraFoNetz) im Kubus Nagold. Dabei wies er unter anderem auch auf das Vorrücken chinesischer Automobilhersteller auf den europäischen Markt hin, die auf massive Unterstützung ihrer Regierung setzen könnten. Und die Preise für BYD, Nio & Co. seien verglichen mit deutschen E-Autos durchaus attraktiv.
Resümee von Paul Jens und Tim Kukral in ihrem ARD-Beitrag zur Bewältigung der Automotive-Transformation: „Langfristig wird es ohne Fördergelder von Land und Bund aber wohl nicht gehen.“
Boysen Gruppe
Kerngeschäft der Boysen Gruppe mit Stammsitz in Altensteig (Landkreis Calw/Nordschwarzwald) war bisher die Entwicklung und Fertigung hochleistungsfähiger Abgassysteme und -komponenten für Pkw, Nutzfahrzeuge und Off-Highway-Anwendungen. Neben den drei Hauptkunden Audi, BMW und Mercedes-Benz arbeitet der Abgastechnik-Spezialist für die deutschen Automobilhersteller Volkswagen und Porsche, die englischen Marken Bentley und Rolls-Royce, die Nutzfahrzeughersteller Daimler und MAN sowie im Bereich Off-Highway-Anwendungen für Krauss Maffei, mtu, Voith und andere.
Im Zuge des technologischen Wandels innerhalb der Automobilindustrie setzt Boysen neben innovativen Abgastechnologien auch auf neue Produktgruppen, die in allen Fahrzeugen – unabhängig der Antriebsart – zum Einsatz kommen. Einen weiteren wichtigen Baustein seiner Zukunftsstrategie sieht das Stiftungsunternehmen im Bereich der Energietechnik, wobei vor allem Themen wie Wasserstoff, Brennstoffzellen sowie stationäre Energiespeicher im Fokus stehen.
Die Boysen Gruppe beschäftigt rund 5.200 Mitarbeitende an 27 Standorten im In- und Ausland. Neben den Entwicklungsstandorten in Altensteig und Nagold verfügt Boysen über Produktionsstandorte in Altensteig, Simmersfeld, Heubach, Salching, Ingolstadt, Plauen und Achim sowie in Frankreich, Ägypten, Südafrika, Indien, China, Mexiko, Serbien, Rumänien und in den USA.
Das Transformationsnetzwerk Nordschwarzwald (TraFoNetz) unter dem Dach der Wirtschaftsförderung Nordschwarzwald ist die größte regionale Gemeinschaftsinitiative zur kostenfreien Unterstützung der Automotive-Unternehmen und ihrer Beschäftigten im Nordschwarzwald. Gefördert wird sie vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Ziel ist es, die Transformation im Automobilbereich erfolgreich zu meistern und damit den Standort Nordschwarzwald und die Arbeitsplätze zu sichern. TraFoNetz-Partner sind unter anderem die Arbeitsagentur Nagold-Pforzheim, die Hochschule Pforzheim, die AgenturQ mit Südwestmetall und IG Metall, die IHK Nordschwarzwald, die Handwerkskammern Karlsruhe und Reutlingen sowie die Senioren der Wirtschaft.