Von Katharina Lindt und Gerd Lache | 07.03.2024
Bernhard Kölmel ist verliebt – verliebt in Austin. Der Pforzheimer Professor für Prozessmanagement verbrachte insgesamt elf Monate an der Texas State University, lehrte am McCoy College of Business Administration wissbegierige Studenten und will wieder hin.
„Austin hat sich aus einer Provinz zu einer Weltstadt gewandelt“, sagt Kölmel. Und er muss es wissen: Der Pforzheimer Hochschulprofessor und Beiratsmitglied im Transformationsnetzwerk Nordschwarzwald (TraFoNetz) war in den 90er-Jahren im Silicon Valley, arbeitete dort in einem Start-up, lernte die aufregende Zeit der Tech-Industrie kennen, als Apple, Google und Co. quasi in den Startlöchern waren. Wer gründen wollte, zog an die amerikanische Westküste. Heute wollen die Entrepreneure möglichst raus aus dem engen Korsett, das die US-Demokraten dort festgezurrt haben.
Und dann geht man nach Texas – in das Land der Cowboys, Republikaner und Ölmultis? Unsere Vorstellung von dem Staat sei zu sehr von der Seifenoper Dallas geprägt. Dabei seien gerade die großen Metropolen demokratisch ausgerichtet, die Menschen seien „superfreundlich“, viele hätten deutsche Vorfahren, berichtet er. Nach der gescheiterten badischen Revolution von 1848 emigrierten viele Menschen in die USA, insbesondere nach Texas, das ein beliebtes Auswanderungsziel wurde.
Austin gilt als weltweite Live-Musik-Hauptstadt verschiedener Stile mit täglich mehr als 200 großen und kleinen Musikevents. Rockröhre Janis Joplin war Studentin in Austin an der University of Texas, die mit Lyndon B. Johnson und George W. Bush zwei US-Präsidenten hervorgebracht hat. Unternehmen wie Tesla, Oracle, AMD, Dell, Meta, Google und eBay sowie Apple sind in Austin mit Standorten vertreten.
Die pulsierende Stadt beeindruckt nicht nur mit einer vielfältigen Bar- und Musikszene und kostenlosen Konzerten, sondern auch mit einer grünen Umgebung und hoher Lebensqualität, schwärmt Kölmel. Nicht zu vergessen das alljährliche Festival „South by Southwest“ (SXSW), das die Stadt zum Mekka für Tech-Jünger, Netz-Avantgardisten und kreative Köpfe macht.
Und genau dieses SXSW-Event (8. bis 12.März 2024) ist neben den Unternehmensbesuchen auch eines der Ziele der Delegation aus dem Nordschwarzwald. Zu ihr gehören neben Professor Kölmel auch Jochen Protzer, Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung Nordschwarzwald (WFG), sowie Maximilian Maier und Marcel Rath, zwei der Projektmanager des Transformationsnetzwerks (TraFoNetz) Nordschwarzwald. Der Calwer Landrat und WFG-Aufsichtsratsvorsitzende Helmut Riegger stößt etwas später hinzu. Er war am regulären Abreisetag mit Bundeskanzler Olaf Scholz bei dessen Besuch im Landkreis Calw unterwegs.
„Austin ist ein Magnet für qualifizierte Fachkräfte“, sagt Kölmel. Es gebe sogar einen Qualifikationsüberhang. Unternehmen wie Tesla profitieren von diesem Talentpool der dortigen Universitäten und der IT-Kräfte. Der E-Autobauer verlagerte seinen Sitz von der Westküste nach Austin, baute dort die Gigafactory 5.
Längst haben auch IT-Konzerne wie Oracle und Hewlett Packard Enterprise (HP) ihre Koffer gepackt – und Standorte in Texas eröffnet. Neben Talenten überzeugt der republikanische Staat mit grüner Energie: „Texas ist der größte Betreiber von erneuerbaren Energien in den USA – nicht Kalifornien“, sagt Kölmel. Das weite, flache Land, viel Sonne und Wind begünstigen den massiven Ausbau.
In dieser Branche entstehen zahlreiche Jobs, das Geld, das aus den Solar- und Windparks strudelt, kommt den öffentlichen Schulen zugute – lediglich bei manchen republikanischen Politikern stoßen die grünen Quellen auf wenig Gegenliebe.
Leistungswille im Hörsaal
Was den Automotive-Experten während seiner Lehrzeit beeindruckte: „Die Leistungsbereitschaft ist deutlich höher als bei uns.“ Natürlich müssten die Studierenden eine Menge für ihr Studium zahlen. Doch auch so hätten sie eine andere Motivation an den Tag gelegt. Zwischen Mittzwanzigern saßen etwa Teilnehmer mit Berufserfahrung oder gar 60-Jährige in seiner Vorlesung – den Master später im Leben nachzuholen, sei in den USA nicht ungewöhnlich.
Und was hat Kölmel gelehrt? KI für Führungskräfte, Design-Thinking und Process Mining. Letzteres sei eine deutsche Spezialität, Unternehmensprozesse zu optimieren. „Was wir gut können, ist korrekt zu arbeiten. In den USA ist der Prozess-Gedanke nicht so ausgeprägt“, sagt Kölmel.
Führend in diesem Bereich ist das Münchner Unternehmen Celonis, das mit einer 13-Milliarden-US-Dollar-Bewertung Deutschlands wertvollstes Start-up ist.
Hemdsärmelig und mutig
Das Kompetenzzentrum von Celonis liegt im Übrigen an der Hochschule Pforzheim, wo Studierende in den Kontakt mit der Software kommen. Praxisorientierte Forschung heißt das.
„Auch das ist eine Ausnahme in den USA“, sagt Kölmel. „Hemdsärmelig und mutig“ sei die Herangehensweise der Amerikaner. „Sie machen einfach.“ Das wünscht er sich für Deutschland. Denn das Land stehe vor großen Herausforderungen. „Ein Elektroauto verlangt wenig Präzision im Vergleich zu einem Verbrenner“, sagt er. „Komplexere Anforderungen liegen eher in der Elektronik und in der Software – da sind wir nicht unbedingt die besten.“
Besonders Megacities – bis 2050 werden 80 Prozent der Weltbevölkerung in Städten leben – verändern die Mobilität. „Mobilitätsdienste werden autonom sein. Es wird also eine eigene Fahrzeugkategorie geben“, ist sich der Experte sicher. Hier hätte Mercedes beste Chancen, doch ausgerechnet aus diesem Markt hat sich der Konzern jüngst zurückgezogen.
Medizintechnik als Zukunftsbranche
„Die Luxusstrategie mag aus Mercedes-Sicht Sinn machen, aber aus der Ökosystem-Sicht eines Zulieferers, der über Masse geht, ist es eine Katastrophe.“ Die Zulieferer in der Präzisionstechnik müssen also neue Wege gehen und neue Produkte entwickeln – die Medizintechnik etwa ist eine Zukunftsbranche, die zu ihnen passt, sagt Kölmel.
Doch dafür brauche es mehr Optimismus – um den zu schöpfen, wird der Austausch zwischen Austin und Pforzheim intensiviert. Derzeit ist die Delegation der Wirtschaftsförderung Nordschwarzwald mit dem Automotive-Projekt TraFoNetz auch in dieser Mission in Texas unterwegs.
Das Transformationsnetzwerk Nordschwarzwald (TraFoNetz) unter dem Dach der Wirtschaftsförderung Nordschwarzwald (WFG) ist die größte regionale Gemeinschaftsinitiative zur kostenfreien Unterstützung der Automotive-Unternehmen und ihrer Beschäftigten im Nordschwarzwald. Gefördert wird sie vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Ziel ist es, die Transformation im Automobilbereich erfolgreich zu meistern und damit den Standort Nordschwarzwald und die Arbeitsplätze zu sichern. TraFoNetz-Partner sind unter anderem die Arbeitsagentur Nagold-Pforzheim, die Hochschule Pforzheim, die AgenturQ mit Südwestmetall und IG Metall, die IHK Nordschwarzwald, die Handwerkskammern Karlsruhe und Reutlingen, e-mobil BW, IAB Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung sowie Steinbeis InnoBW, wvib Wirtschaftsverband und weitere.
INFO-BROSCHÜRE TraFoNetz zum Download: HIER