Von Gerd Lache | 02.10.2024
„Wir sind ein Business-Intelligence-Anbieter und unterstützen Unternehmen aus der Fertigungsindustrie dabei, neue Märkte für ihre Produkte und Kompetenzen zu erschließen“, beschreibt Gauthier Boisdequin die Geschäftstätigkeit des Stuttgarter Unternehmens mine&make. Der Fokus liege dabei auf kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU), die nicht über die Ressourcen großer Konzerne verfügen. Laut einer Studie von IW Consult ist die Region Nordschwarzwald ein Schwerpunkt-Standort für Automobil-Zulieferer und damit stark von der Transformation betroffen. Rund 1300 Unternehmen der Branche beschäftigen hier etwa 30.000 Mitarbeitende.
Herr Boisdequin, was waren Ihre Schwerpunkte bei der Transformations-Lounge in Horb?
Gauthier Boisdequin: Es ging um die Megatrends, die die gesamte Wertschöpfungskette beeinflussen – von neuen Märkten und Technologien bis hin zu neuen Wettbewerbern. Wir konzentrieren uns speziell auf Märkte mit Potenzial, wie etwa die Medizintechnik, die Wasserstofftechnik oder erneuerbare Energien. Im Vergleich dazu stagnieren Märkte wie die Automobilindustrie. Es geht also darum, welche Chancen sich durch diese Megatrends für unsere Kunden ergeben.
Wie sieht es mit Luft- und Raumfahrt sowie Verteidigungsindustrie aus?
Das sind auf jeden Fall potenziell starke und anspruchsvolle Märkte. Allerdings sagen viele meiner Kunden, dass sie nicht in die Verteidigungsindustrie gehen wollen. Die Luft- und Raumfahrt ist ebenfalls anspruchsvoll, besonders aufgrund der hohen Sicherheitsanforderungen.
Könnten diese Branchen für Unternehmen im Nordschwarzwald interessant sein?
Absolut. Aber es hängt davon ab, ob die Unternehmen bereit sind, sich den hohen Anforderungen dieser Branchen zu stellen.
Nehmen wir einen von der Transformation getriebenen Automobilzulieferer im Nordschwarzwald. In welche Märkte sollte er sich neu orientieren?
Automobilzulieferer sind es gewohnt, hohe Anforderungen zu erfüllen – eine ideale Voraussetzung, um in anspruchsvolle Branchen wie die Luft- und Raumfahrt oder Medizintechnik zu wechseln. Wichtig ist für solch ein transformierendes Unternehmen, seine Kernkompetenzen und Wettbewerbsvorteile zu identifizieren. Das ist der Schlüssel zur Erschließung neuer Märkte.
Wie setzt ein solches Unternehmen den Wandel um?
Der erste Schritt ist immer, die eigenen Stärken und Vorteile zu erkennen. Wenn man das weiß, kann man die passenden Märkte und Anwendungen finden, in denen diese Kompetenzen gefragt sind. Dafür haben wir bei mine&make spezielle KI-Lösungen entwickelt, die diesen Prozess unterstützen.
Wenn Sie von Märkten sprechen, was meinen Sie damit?
Ich spreche weniger von geografischen Märkten, sondern vielmehr von Anwendungen. Ein Beispiel: Wenn eine Dreherei eine spezielle Drehkompetenz hat, dann ist die Frage, welche Bauteile und Produkte sie damit herstellen und welche neuen Branchen und Kunden sie damit bedienen kann. Das ist für mich der eigentliche Markt – also die Anwendung.
Wie kann ein kleiner Mittelständler aus dem Schwarzwald im Hinblick auf die weltweite Plattformökonomie mithalten, wo nur der niedrigste Preis zählt?
Genau hier liegt das Problem. Aber in anspruchsvollen Branchen wie der Luft- und Raumfahrt beispielsweise haben wir weniger Wettbewerb. Deshalb sollte sich ein Unternehmen auf diese Branchen konzentrieren. In den Mainstream-Märkten stehen die Zulieferer aus dem Nordschwarzwald im Wettbewerb mit Ländern wie China oder Indien. Westeuropa – und damit auch der Nordschwarzwald – hat die besten Voraussetzungen, um die anspruchsvollen Märkte zu bedienen.
Welche Bedeutung hat bei so einem Wechsel die Qualifizierung der Beschäftigten?
Extrem wichtig. Unternehmen müssen ihre Mitarbeitenden weiterbilden und sich für neue Branchen zertifizieren lassen. Das ist ein Prozess, der Geld kostet, aber es gibt Fördermittel, die diesen Schritt erleichtern. Wenn man sich traut, in anspruchsvolle Branchen zu gehen, dann sind die Chancen groß.
Sollte der Übergang eines Automobilzulieferers in eine andere Branche schleichend oder abrupt erfolgen?
Es ist kein harter Schnitt nötig. Auch die Automobilindustrie hat noch Potenzial. Daher würde ich empfehlen, Ressourcen für beide Bereiche bereitzuhalten und parallel neue Märkte zu erschließen.
Sie haben KI-Lösungen Ihres Unternehmens erwähnt, wie genau hilft die Künstliche Intelligenz?
Unsere KI hilft vor allem den KMU, also kleinen und mittleren Unternehmen, relevante Informationen zu finden, um neue Märkte zu erschließen. Dazu gehören Daten über Kunden, Wettbewerber, Anforderungen und Normen. Große Konzerne wie etwa Bosch oder Mahle nutzen riesige Business-Development-Ressourcen, um solche Informationen zu sammeln. Unsere KI macht diesen Prozess für KMU effizient, indem sie zielgerichtet Daten aus Patenten, wissenschaftlichen Veröffentlichungen, der Fachpresse und anderen Quellen auswertet.
Ein kleiner Zuliefer-Betrieb im Nordschwarzwald benötigt also kein eigenes KI-Know-how?
Genau. Unsere Kunden müssen uns nur ein Datenblatt ihres Produkts oder eine Beschreibung ihrer Fertigungskompetenz geben. Wir übernehmen dann die Analyse und identifizieren die besten Absatzmärkte weltweit.
Bitte ein paar Sätze zu Ihrer Person und Ihrem beruflichen Hintergrund.
Ich komme ursprünglich aus Belgien und habe Maschinenbau sowohl in Belgien als auch in Deutschland studiert. Nach meinem Studium habe ich bei Continental und später bei Porsche gearbeitet, wo ich 15 Jahre in der Entwicklung in Weissach tätig war. Dort habe ich meine ersten Erfahrungen mit Daten und Künstlicher Intelligenz gesammelt. Schließlich habe ich mich vor fünf Jahren dazu entschieden, mein eigenes Unternehmen mine&make zu gründen.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Boisdequin!
Transformationsnetzwerk Nordschwarzwald
TrafoNetz unter dem Dach der Wirtschaftsförderung Nordschwarzwald ist ein Netzwerk für Transformation und Innovation, das Unternehmen, Wissenschaft und Gesellschaft zusammen bringt. Ziel ist es, die Region Nordschwarzwald zu einem führenden Standort für innovative Unternehmen und zukunftsfähige Technologien zu machen.
Partner des Transformationsnetzwerks Nordschwarzwald sind unter anderem die Arbeitsagentur Nagold-Pforzheim, die Hochschule Pforzheim, die AgenturQ mit Südwestmetall und IG Metall, die IHK Nordschwarzwald, die Handwerkskammern Karlsruhe und Reutlingen, e-mobil BW, IAB Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung sowie Steinbeis InnoBW, wvib Wirtschaftsverband und weitere.