Automobil-Gipfel Nordschwarzwald beschwört Höhen und Tiefen der Zukunftsgestaltung

TraFoNetz-Projektleiterin Katharina Bilaine stellt dem Transformationsbeirat die bisherigen Ergebnisse des Projekts vor. ©GerdLache

Von Gerd Lache | 11.12.2023

Oben im Turm der Sparkasse Pforzheim Calw  entwickelte sich die TraFoNetz-Beiratssitzung als ausgewiesener Automobil-Gipfel der Region für die Zulieferunternehmen der Branche. Landräte, Oberbürgermeister, Wirtschaftsförderer, Unternehmensvertreter, die Strategieberater von OCO Global und Wissenschaftler sowie Vertreterinnen und Vertreter von Instituten und Institutionen debattierten in Präsenz und Online unter der moderierenden Anleitung von Jochen Protzer, Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung Nordschwarzwald (WFG).

Die WFG hat jenes Projekt TraFoNetz ins Leben gerufen, das nun im regionalen Schulterschluss die Zuliefer-Unternehmen bei der Transformation weg vom Verbrennermotor hin zu alternativen Antrieben und anderen Geschäftsmodellen unterstützen soll. Finanziell gefördert vom Bundeswirtschaftsministerium.

TraFoNetz-Beiratssitzung im Panoramasaal der Sparkasse Pforzheim Calw. Von links: Annette Hanfstein (Geschäftsführerin Operativ, Arbeitsagentur Nagold-Pforzheim); Oberbürgermeister Jürgen Großmann (Nagold); Oliver Reitz (Direktor Wirtschaft und Stadtmarketing Pforzheim WSP); Landrat Bastian Rosenau (Landkreis Enzkreis); Tanja Traub (Hauptgeschäftsführerin IHK Nordschwarzwald); Jochen Protzer (Geschäftsführer Wirtschaftsförderung Nordschwarzwald WFG); Landrat Helmut Riegger (Landkreis Calw, WFG-Aufsichtsratsvorsitzender). ©Foto: Gerd Lache

Und Kölmel als TraFoNetz-Beiratsvorsitzender konnte beim Blick auf den großen Berliner Autogipfel vor kurzem nicht mehr an sich halten. Denn die Gespräche und Aussagen dort gingen seiner Ansicht nach am Thema vorbei. „Viele Unternehmen kämpfen gegen den falschen Tsunami“, sagte er. Natürlich sei es wichtig, das Ladesäulen-Problem anzugehen. Aber „der Wandel der Antriebstechnologie ist eine Kleinigkeit gegen den Wandel der bereits stattfindenden Marktveränderungen.“

Professor Dr. Bernhard Kölmel (Hochschule Pforzheim) und Kerstin Gatzlaff (Vorstandsmitglied Sparkasse Pforzheim Calw) bei der TraFoNetz-Beiratssitzung im Panoramasaal der Sparkasse Pforzheim Calw. ©Foto:GerdLache

Während sich deutsche Fahrzeughersteller wie beispielsweise Volkswagen mit Verkäufen von E-Autos im Hauptabsatzmarkt China lediglich im sehr niedrigen einstelligen Prozentbereich bewegten, drängten die Elektrofahrzeuge aus Asien staatlich massiv protegiert mit voller Wucht auf die Weltmärkte. Für die Zulieferbetriebe im Nordschwarzwald bleibe da kaum ein Krümel an Aufträgen übrig. Denn die Komponenten würden weltweit nach Maßgabe des günstigsten Preises eingekauft. Diese Plattformökonomie sei eine Herausforderung, an der in der Vergangenheit bereits Firmen der Computer-Industrie zugrunde gegangen seien.

Sitzung des TraFoNetz-Beirats im Panoramasaal der Sparkasse Pforzheim Calw. Von rechts: Kerstin Gatzlaff (Vorstandsmitglied der Sparkasse); Professor Dr. Bernhard Kölmel (Hochschule Pforzheim); Landrat Helmut Riegger (Landkreis Calw, WFG-Aufsichtsratsvorsitzender); Jochen Protzer (Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung Nordschwarzwald (WFG). Online beteiligte sich an der Sitzung Frank Schneider, Oberbürgermeister von Mühlacker. ©Foto:GerdLache

Nicht nur das: Eine riesige Bandbreite an E-Fahrzeugen von neuen, innovativen Herstellern rolle bald auf die Straßen und minimiere die Marktanteile der erfolgsverwöhnten deutschen Unternehmen, die sich bisher auf ihre hohe Qualität berufen konnten. Beispiel Saudi Arabien: Der Staat pumpe jährlich rund sieben Milliarden Euro in den Aufbau einer eigenen Fahrzeugindustrie – übrigens mit Unterstützung von BMW-Beschäftigten. Auch in der Türkei wachse eine Autofabrik aus dem Boden. Über diese Entwicklung zeigte sich auch Landrat Helmut Riegger beunruhigt. Er verwies dennoch auf Unternehmen aus seinem Calwer Landkreis, die erfolgreich neue Branchen gefunden hätten.

Der Calwer Landrat Helmut Riegger (WFG-Aufsichtsratsvorsitzender) und WFG-Geschäftsführer Jochen Protzer (links). ©Foto:GerdLache

Keine Sorgen macht sich Kölmel um Zukunftsplayer wie die Transformations-geübte Firma Witzenmann in Pforzheim oder den dreifachen Umsatzmilliardär, das Stiftungsunternehmen Boysen in Altensteig/Nagold, das bereits erfolgreich den Wandel eingeleitet hat. Auch Daimler oder Porsche würden im Luxus-Segment ihren Transformations-Weg machen, zwar mit weniger Verkäufen, aber mit höheren Preisen. Nur für die zahlreichen kleinen und mittelständischen Zulieferer der Region sehe es düster aus. Weniger Autoverkäufe bedeuten geringere Komponenten-Abrufe. Ganz zu schweigen von jenen Aufträgen, die künftig an der Region vorbei auf dem Weltmarkt der Plattformökonomie vergeben werden.

TraFoNetz-Beiräte Professor Dr.-Ing. Günther Würtz (Steinbeis InnoBW, links) und Xaver Feiner (Vice President Marketing & Sales, Zöllner Elektronik AG). ©Foto:GerdLache

Präzision, eine der Top-Eigenschaften im Nordschwarzwald, sei bei den vergleichsweise einfach gearteten E-Autos nicht gefragt. Ohnehin tolerierten die Kunden die großzügigen Spaltmaße von Tesla & Co. Der einstige Zulieferer-Hotspot Nordschwarzwald könnte bald in der Bedeutungslosigkeit verschwinden, wenn die Unternehmen sich nicht rasch mit neuen Strategien und Geschäftsmodellen, mit alternativen Produkten und Qualifizierung ihrer Mitarbeitenden befassen würden, spitzte der KI- und Automotive-Experte der Hochschule Pforzheim seine Drohkulisse zu.

Jürgen Großmann (Oberbürgermeister Nagold) und Oliver Reitz (Direktor Wirtschaft und Stadtmarketing Pforzheim WSP). ©Foto:GerdLache

Offenbar zeigte der provokative Kölmel-Auftritt Wirkung. Die Aufbruchstimmung nach drei aufwühlenden Debatten-Stunden war spürbar. Nagolds Oberbürgermeister Jürgen Großmann bedankte sich für die „klare Sprache“ und fügte hinzu, dass das Wohl und Wehe der Zulieferunternehmen bisher an den großen Konzernen hinge. „Der Ansatz müsste also dort oben stattfinden.“ Die Antwort des mahnenden Professors ist, dass sich die Region sowohl in der wirtschaftlichen wie in der politischen Unterstützung von diesen Konzernen „entkoppeln muss“. Denn dort bestimme nicht das Interesse für deutsche Jobs das Handeln, sondern die Höhe des Aktienkurses.

Tanja Traub, Hauptgeschäftsführerin der Industrie- und Handelskammer (IHK) Nordschwarzwald. ©Foto:GerdLache

IHK-Hauptgeschäftsführerin Tanja Traub setzt auf die Präzisionstechnik-Kompetenz der Region. Abseits des E-Autos gebe es durchaus Kunden, für die diese Werte wichtig seien. Sie glaube, dass die Unternehmen im Nordschwarzwald die Lage meistern könnten, räumte jedoch ein, dass „uns die Dynamik überrascht hat“. Und man dürfe nicht die Fehler der Schmuckindustrie wiederholen, die seinerzeit auf den eigenen Standort und die Konkurrenz nebenan begrenzt gewesen sei: „Die Wettbewerber sitzen nicht in Baden-Württemberg, sondern ganz woanders.“ Gemeinsam mit dem TraFoNetz-Kompetenz-Team will Traub mit IHK-Workshops den Blick für neue Märkte und Geschäftsfelder erweitern.

Annika Norden, Justiziarin für Arbeitsrecht bei Südwestmetall. ©Foto:GerdLache

Kerstin Gatzlaff, Vorstandsmitglied der Sparkasse Pforzheim Calw, beschwor den Schulterschluss der Region. Es müsse eine gut vernetzte und aktive Allianz geben, denn trotzt der hohen Fachkenntnisse der mittelständischen Unternehmen werde es nicht ohne gegenseitige Unterstützung laufen. TraFoNetz sei eine gute Grundlage dafür.

Dr. Stefan Baron, Geschäftsführer der AgenturQ mit Südwestmetall und IG Metall, daneben Katharina Bilaine, Projektleiterin des Transformationsnetzwerks Nordschwarzwald (TraFoNetz). ©Foto:GerdLache

Stefan Baron, Geschäftsführer der AgenturQ mit IG Metall und Südwestmetall, fasste die Ausführungen von Professor Kölmel in eine „ketzerische Hypothese: Wenn das alles stimmt, was Sie sagen, dann sollten wir hier in der Region nicht mehr auf ein totes Pferd setzten, sondern ein junges Fohlen heranzüchten.“ Ohne die Mitarbeitenden mitzunehmen funktioniere es jedoch nicht: Qualifizierung sei der Schlüssel, sagte der auf Weiterbildung spezialisierte Geschäftsführer.

Annette Hanfstein, Geschäftsführerin Operativ, Agentur für Arbeit Nagold-Pforzheim. ©Foto:GerdLache

Für Annette Hanfstein ist der erste Schritt, dass sich die Unternehmen klar machten, wo sie stehen und wie sie ihre Zukunft gestalten könnten. Erst dann, so die operative Geschäftsführerin der Arbeitsagentur Nagold-Pforzheim, „können wir unsere PS auch wirkungsvoll auf die Straße bringen“. Das Thema Fachkräfte müsse aus vielen Perspektiven angegangen werden. Die Leistungen von TraFoNetz für Firmen und Beschäftigte müssten Hanfstein zufolge sichtbarer nach außen getragen werden. Denn eines sei klar: Noch viel mehr Unternehmen der Region müssten den kostenfreien Kompetenz-Support des Transformationsnetzwerks abrufen.

Benedikt Koziol, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Karlsruhe. ©Foto:GerdLache

Ein Wirtschaftszweig ist aus Professor Kölmels verbalem Rundumschlag unbeschadet davon gekommen: „Das Handwerk hat die  Herausforderungen erkannt und die Weichen gestellt.“ Die Werkstätten und die Händler hätten sehr früh begonnen, sich zu engagieren, um in die richtige Richtung zu laufen.“ Für Benedikt Koziol, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Karlsruhe, ist es wichtig, dass ein Unternehmen „eine Vision hat, wohin die Reise geht. Das kann sehr spannend sein.“


Das Transformationsnetzwerk Nordschwarzwald (TraFoNetz) unter dem Dach der Wirtschaftsförderung Nordschwarzwald (WFG) ist die größte regionale Gemeinschaftsinitiative zur kostenfreien Unterstützung der Automotive-Unternehmen und ihrer Beschäftigten im Nordschwarzwald. Gefördert wird sie vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Ziel ist es, die Transformation im Automobilbereich erfolgreich zu meistern und damit den Standort Nordschwarzwald und die Arbeitsplätze zu sichern. TraFoNetz-Partner sind unter anderem die Arbeitsagentur Nagold-Pforzheim, die Hochschule Pforzheim, die AgenturQ mit Südwestmetall und IG Metall, die IHK Nordschwarzwald, die Handwerkskammern Karlsruhe und Reutlingen, e-mobil BW, IAB Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung sowie Steinbeis InnoBW, wvib Wirtschaftsverband und weitere.

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