„Primitive Teile“ setzen Automobilzulieferer im Nordschwarzwald unter Druck

Den Startschuss für ein anderthalb Jahre laufendes Forschungsprojekt zur Automotive-Transformation gaben bei einer Presskonferenz an der Hochschule Pforzheim (von links) die Professoren Dr. Rebecca Bulander, Dr. Bernhard Kölmel und Rektor Dr. Ulrich Jautz sowie WFG-Geschäftsführer Jochen Protzer und Helmut Riegger, WFG-Aufsichtsratsvorsitzender und Calwer Landrat. ©Foto:GerdLache

Von Gerd Lache | 21.12.2023

In der Projektlaufzeit der nächsten anderthalb Jahre werden die Professoren Dr. Rebecca Bulander und Dr. Bernhard Kölmel von der Hochschule Pforzheim mit einem dreiköpfigen TraFoNetz-Team Firmen besuchen, Geschäftsmodelle analysieren, neue Ansätze entwickeln, Impulse geben, außerdem vorhandene Technologien und Kompetenzen auf Aktualität abklopfen sowie Strategien checken und nicht zuletzt Überzeugungsarbeit leisten – auch bei Beschäftigten, die ihre angestammten Kenntnisse optimieren müssen. Desweiteren richten sie an der Hochschule ein sogenanntes Makerspace ein, um innovative Ideen zu testen und auf ihre Marktfähigkeit zu prüfen.

Protagonisten des Forschungsauftrags zur Transformation in der Automobilindustrie: die Professoren Dr. Rebecca Bulander und Dr. Bernhard Kölmel von der Hochschule Pforzheim. ©Foto:GerdLache

Und wozu das Ganze? „Die alten Geschäftsmodelle sind nicht mehr tragfähig“, sagt Professor Bernhard Kölmel angesichts des massiven Umbruchs in der weltweiten Automobilindustrie. Demnach machen die deutschen Automobilhersteller auf ihrem einstigen Schwerpunktmarkt China und selbst im Heimatmarkt kaum noch Boden gut, seit das asiatische Land die Elektromobilität verkündet und im Rekordtempo umgesetzt hat. Weitere Länder treten aus ihrer automobilen Bedeutungslosigkeit hervor und schicken sich an, die Märkte mit Elektromobilität zu überschwemmen.

Kann das für die Deutschen ein Problem sein? Sie sind doch bekannt für ihre hohe Qualität und ihre Kompetenz beim Motorenbau. Das sei beim Verbrenner zweifellos richtig gewesen, macht Kölmel deutlich. Aber: „Elektroautos sind im Vergleich zu Verbrennern primitive Teile.“ Da sei nicht besonders viel Präzision gefragt, zumal die E-Auto-Kundschaft ohnehin keinen gesteigerten Wert auf die einst hochgepriesenen Spaltmaße lege.

 Sollen also die Automobilzulieferer ihre Qualitätsmaßstäbe nach unten schrauben um wettbewerbsfähig zu sein? Das könnte im Einzelfall funktionieren, wenn da nicht die Plattformökonomie wäre – übrigens ein wesentlicher Bestandteil der künftigen Forschungsarbeit an der Hochschule. In Zukunft werden die E-Autobauer ihre Komponenten auf einem weltweiten Markt nach Maßgabe des günstigsten Preises einkaufen. Kölmel vergleicht dies mit der seinerzeit vom Computer-Unternehmen Dell eingeführten Plattform für PC-Komponenten. In den Laptops waren Standardteile eingebaut, die in aller Welt preiswert zusammen gekauft worden sind.

Ähnliches stehe auch der Autoindustrie bevor. Schon heute existiere eine Plattform, auf der sich inzwischen 3000 Unternehmen tummeln, darunter BMW und Bosch. „Da ist man gerade dabei, alle Bestandteile eines Elektrofahrzeugs zu standardisieren.“ Ein noch härterer Preiskampf als bisher werde die Folge sein.

Mit ihrer Unterschrift besiegeln Rektor Professor Ulrich Jautz (links) und WFG-Geschäftsführer Jochen Protzer den Auftrag für ein Forschungsprojekt im Zuge der Automotive-Transformation in der Region Nordschwarzwald. ©Foto:GerdLache

Davon leitet der KI- und Automotive-Experte der Hochschule Pforzheim seine provokante These ab: „Wenn die Transformation in die Elektromobilität gelingt, dann ist unsere Region quasi tot.“ Denn insbesondere die heimischen Zulieferer würden ins Abseits gedrängt. Einige von ihnen, prognostiziert Kölmel, werden es wohl nicht schaffen“.

Um deren Zahl im Nordschwarzwald – aktuell sind insgesamt rund 1300 Firmen im Automotive-Bereich tätig –  so gering wie möglich zu halten und vor allem um die meisten der rund 30.000 Jobs in der Region zu sichern, ist das Transformationsnetzwerk Nordschwarzwald (TraFoNetz) angetreten, hat kompetente Partner und Mitstreiter um sich geschart und gibt kostenfreien Support beim Weg in eine erfolgreiche Zukunft.

Wo diese Zukunft für die Unternehmen im Nordschwarzwald sein könnte, das entscheidet der Einzelfall. Sicher sei, dass mancher Betrieb das Heil woanders als im Automotive-Bereich suchen sollte. Kölmel sagt: „Eine Aufgabe unseres Projektes ist es, den Unternehmen zu helfen, neue Märkte, neue Kunden, neue Anwendungsgebiete zu finden.“ Seine deutliche Empfehlung: „Haltet nicht wie verrückt nur an der Elektromobilität fest, da werden wir deutlich weniger Chancen haben, sondern sucht euch Branchen, in denen unsere Kompetenz, die Präzision, die Technik gefragt sind.“

Es gehe nicht darum, die erworbenen Qualifikationen aufzugeben, sondern diese zu optimieren und seine Kernkompetenz dort anzubieten, wo sie gefragt sei. Professorin Bulander ergänzt: „Wir schauen uns nicht nur die Unternehmen an.“ Auch die Ausbildung und Qualifikation von Mitarbeitenden im Hinblick auf ihre Zukunftsfähigkeit sei bei dem Projekt enorm wichtig.

Unterstützen die professorale Forschungsarbeit an der Hochschule Pforzheim: die TraFoNetz-Team-Mitglieder (von links) Marcel Rath, Maximilian Maier und Max Borsch. ©Foto:GerdLache

Für Rektor Ulrich Jautz ist das TraFoNetz-Forschungsprojekt ein wichtiger Baustein, um vor allem den kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) in der Region Orientierung zu geben. Wie er aus zahlreichen Firmengesprächen herausgehört habe, hätten viele Entscheider noch keinen Plan, wohin die Reise gehe. „Es gibt einen hohen Bedarf, dass ein neutraler Experte sich vor Ort durch Interviews und eigener Anschauung ein Bild verschafft, um dann Impulse zu vermitteln.“ Fertige Strategien zu erstellen sei nicht das Ziel des Projekts, „aber wir können Unternehmen animieren, eine Strategie professionell zu erarbeiten, sich selbst zu entwickeln und zukunftsfähig zu werden“.

Helmut Riegger, WFG-Aufsichtsratsvorsitzender und Calwer Landrat, ist zuversichtlich: „Der Nordschwarzwald hat viel zu bieten. Wir haben tolle Leute.“ Die Kompetenz der Hochschule müsse noch viel stärker nach außen getragen und die Vorzüge der Region deutlicher hervorgehoben werden. „Da gibt es noch einiges zu heben“, ist auch Professor Kölmel überzeugt. Mit rund 50 Unternehmen sei das Hochschul-Team bereits „in Interaktion auf verschiedenen Stufen“.

WFG-Geschäftsführer Protzer sieht die Forschungsergebnisse weit über die Automotive-Branche hinaus wirken. Aber wird das alles funktionieren? „Das können wir noch nicht sagen“, erklärt Kölmel trotz aller Zuversicht zurückhaltend: „Deshalb ist es Forschung.“


Unternehmen oder Mitarbeitenden-Vertretungen, die Interesse daran haben, sich unverbindlich vom Kompetenz-Team der Hochschule Pforzheim und des TraFoNetzes Nordschwarzwald checken zu lassen, können sich formlos per E-Mail melden unter

info@nordschwarzwald.de

Bitte im Betreff „Support“ angeben. DISKRETION WIRD ZUGESICHERT!


Will die Region weiter stärken und verweist auf die hohe Kompetenz im Nordschwarzwald: der Calwer Landrat Helmut Riegger, Aufsichtsratsvorsitzender der Wirtschaftsförderung Nordschwarzwald. ©Foto:GerdLache

Das Transformationsnetzwerk Nordschwarzwald (TraFoNetz) unter dem Dach der Wirtschaftsförderung Nordschwarzwald (WFG) ist die größte regionale Gemeinschaftsinitiative zur kostenfreien Unterstützung der Automotive-Unternehmen und ihrer Beschäftigten im Nordschwarzwald. Gefördert wird sie vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Ziel ist es, die Transformation im Automobilbereich erfolgreich zu meistern und damit den Standort Nordschwarzwald und die Arbeitsplätze zu sichern. TraFoNetz-Partner sind unter anderem die Arbeitsagentur Nagold-Pforzheim, die Hochschule Pforzheim, die AgenturQ mit Südwestmetall und IG Metall, die IHK Nordschwarzwald, die Handwerkskammern Karlsruhe und Reutlingen, e-mobil BW, IAB Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung sowie Steinbeis InnoBW, wvib Wirtschaftsverband und weitere.

INFO-BROSCHÜRE TraFoNetz zum Download: HIER