Professor glaubt an deutsches Know-how: Es gibt keinen Grund in Depressionen zu verfallen

Lobt das technische Know-how der Unternehmen: Professor Dr. Bernhard Kölmel. Foto:RobinDanielFrommer

Von Robin Daniel Frommer | 19.06.2024

Die Begrüßung der Gäste im Namen des Transformationsnetzwerks lag bei Jochen Protzer, dem Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung Nordschwarzwald GmbH (WFG). Er warb gleichzeitig für die Zusammenarbeit der Unternehmen im Nordschwarzwald mit den  Formaten und dem Experten-Team des Transformationsnetzwerks TraFoNetz. Die Anmoderation des Referenten und die Vorstellung weiterer Service-Leistungen von TraFoNetz übernahm Projektmanager Matthias Friedrich.

Unter dem Dach der Wirtschaftsförderung Nordschwarzwald mit Geschäftsführer Jochen Protzer ist das Projekt Transformationsnetzwerk TraFoNetz Nordschwarzwald angesiedelt. Foto:RobinDanielFrommer

„Den einen – idealen – Innovationsprozess gibt es nicht“, betont Professor Kölmel. Aber es gehe darum, „was wir alle tun können, um unsere Unternehmen möglichst lange erfolgreich aufzustellen und um die Innovationskraft zu erhalten, die wir die letzten 70 Jahre in enormem Maße besaßen. Gelingt uns das nicht, sind wir irgendwann zu teuer – billig produzieren kann man in anderen Gegenden der Welt besser“.

Kölmel zitiert den österreichischen Nationalökonomen Joseph Alois Julius Schumpeter (1883-1950) der die Innovation als „Aktivität der kreativen Zerstörung“ bezeichnete und als „Prozess der Umsetzung einer Erfindung in eine Marktanwendung“. Oft werde eine technologische Neuerung vorgestellt, „die dann als Innovation präsentiert wird“. Nur eine technische Erfindung bringe gar nichts.

Innovation Sweet Spot

Kölmel nutzt die Methode des „Innovation Sweet Spot“, der auf die Harvard-Professoren David J. Collis und Michael G. Rukstad zurückgeht, um bildgestützt zu erläutern, wie Unternehmen mit Produkten oder Dienstleistungen am Markt erfolgreich agieren können. Er erläutert den Sweet Spot als Schnittmenge aus drei Dimensionen: aus dem Bedarf oder Kundeninteresse, aus der technischen Machbarkeit (inklusive des Know-hows der Mitarbeiter und des Zuliefer-Netzwerks) und aus der wirtschaftlichen Sinnhaftigkeit. „Nur wenn alle drei Dimensionen erfüllt sind, alle drei gleichzeitig am Markt positioniert werden können, sprechen wir vom ‘Sweet Spot‘. Nur dann macht eine Innovation auch Sinn“.

Vom Theorem lenkt er die Aufmerksamkeit seiner Zuhörenden ins Hier und Jetzt: „Deutsche Unternehmen kommen bislang gerne aus der technischen Machbarkeit „und suchen erst danach den Markt. Jetzt aber ändert sich beispielsweise unsere Automobilindustrie dramatisch – da werden ganze Paradigmen umgewälzt“. Deswegen könnten sich insbesondere die Zulieferer „nicht mehr darauf verlassen, dass sie Innovationen entwickeln können“. Kölmel erinnert an Zeiten mit weithin gesicherter Nachfrage, als deutsche OEMs den Zulieferern das Innovationsziel vorgegeben haben. „Deshalb haben sich diese Unternehmen bis dato über Bedarf oder Kundeninteresse keine Gedanken gemacht – und können es auch gar nicht.“

In einem engagierten Vortrag erläuterte Professor Dr. Bernhard Kölmel das Thema „Innovation Sweet Spot“. Foto:RobinDanielFrommer

Kölmel hat ein Projekt des größten deutschen Automobilzulieferers über eine Studentin begleitet. Mit Grauen erinnert er sich: „Man wollte Hybridmotoren für Tuc Tucs im südasiatischen Markt produzieren. Die Regierung wollte das Projekt, aber die Masse der thailändischen Tuc Tuc-Fahrer war noch nicht bereit dazu, für ein Ersatzteil 50 Euro zu bezahlen, wo flinke Mechaniker Havarien für fünf Dollar Stundenlohn reparieren“.

Die Umweltbelastung durch die qualmenden Tuc Tuc-Flotten sei den Fahrern gleichgültig. „Das Unternehmen hat mehrere Hundert Millionen in dieses Projekt investiert – hat aber kein einziges Mal mit dem Kunden gesprochen. Dieses Projekt ist krachend gescheitert! Obwohl seine Machbarkeit da war und das Projekt wirtschaftlich sinnvoll gewesen wäre, war der Bedarf nicht eruiert. Wenn nur eine einzige Dimension nicht erfüllt wird, ist man nicht erfolgreich am Markt. Punkt“.

Erfolgversprechendes Vorgehen in unsicheren Märkten visualisiert Kölmel mit Hilfe einer sogenannten Stacey-Matrix mit vier Feldern: Einfach, Kompliziert, Komplex und Chaos. Von zwei Marktfeldern rät er sofort ab: „Einfache Sachen, wollen wir nicht, die können alle südostasiatischen Mitbewerber preiswerter produzieren. Und Chaos trauen wir uns nicht zu – das empfiehlt sich für Europa auch nicht. Bei Komplex (überschaubare Unsicherheit) können wir anfangen, müssen aber versuchen das Ganze in das Komplizierte (nicht einfach, aber mit Know-how vorhersagbar und beherrschbar) zu überführen.“

Das sei genau das, wo sich Unternehmen, wie beispielsweise Witzenmann in Pforzheim, besonders wohl fühlen würden. Mit Know-how, das nur wenige haben, verdiene man in dieser Komfortzone gutes Geld – hierzu müsse man aber im Innovations-Managements kontinuierlich neue Wege gehen, neue Werkzeuge finden. „Moonshot-Projekte“ – „Investiere Milliarden und schaffe Märkte, lasse die Konkurrenz ausbluten“ – wie sie Microsoft, Tesla, Amazon oder Google initiieren, sieht er für deutsche Unternehmen nicht.

Zum Team des TraFoNetz-Projekts der Wirtschaftsförderung Nordschwarzwald gehören unter anderem (von links): Heidi Protzer, Matthias Friedrich, Max Borsch, Professor Dr. Bernhard Kölmel, Gregor Metzler und WFG-Geschäftsführer Jochen Protzer. Foto:RobinDanielFrommer

Paradiesgarten und Tal des Todes

Zum aktuellen Wirtschaftsgeschehen in Deutschland fasst Kölmel zusammen: Wir sind gut, wenn wir eine hohe Differenzierung, also Qualität haben.“ In der Region Nordschwarzwald sei das häufig Präzisionstechnik. Mit einem hohen Differenzierungspotential bewege man sich in einem „Garden of Eden“ und habe nicht viele Mitbewerber. Aber jetzt sei man in Deutschland, in fast schon idiotischer Weise, vom Verbrenner weg, seiner Ansicht nach von den OEMs getrieben, nicht von der Politik. Man habe plötzlich keine Differenzierung mehr, denn technisch seien die Chinesen beim Elektroauto besser.

Bei Mercedes sei der Umsatz eingebrochen, diese Marke verkaufe ungefähr 40 Prozent ihrer Autos in China; Porsche 42 Prozent. „Gerade bricht alles um 20, 30 Prozent ein, Mercedes in diesem Jahr schon 41 Prozent Reduktion“. Das heiße: wenn man unter 80 Prozent der Auslastung kommt, sind die Economies of Scale (die Skaleneffekte der Massenproduktion) weg. Und schnurstracks würden sich die Unternehmen „vom Garden of Eden in das Tal des Todes“ begeben. Das sei, so Kölmel, „ein Vorgang, der gerade bei vielen Unternehmen in der Region zu beobachten ist – viele Firmen versuchen sich jetzt mit Kurzarbeit zu retten. Das geht aber nur eine begrenzte Zeit“.

Am globalen Siegeszug des Elektroautos sei nicht mehr zu rütteln. Es werde vielleicht eine ausreichend große Nische (für Verbrenner) geben, „aber die Dominanz der deutschen Automobilhersteller ist Geschichte. Wir befinden uns gerade in einer gefährlichen Situation“.

Auf Nachfrage aus dem Kreis der Zuhörenden rät er Unternehmen, Start-ups und Entscheidern: „Seid keine Lemminge! Geht eigene Wege. In den letzten 50 Jahren wurde allzu oft den OEMs nachgelaufen. Glaubt keinen Studien! Die meisten haben Lobbyisten geschrieben – oft mit begrenztem Know-how. Und die sogenannten Auto-Päpste haben sich kaufen lassen“.

Er betont aber auch: „Das technische Know-how unserer Unternehmen ist unglaublich gut. Es gibt keinen Grund in Depressionen zu verfallen.“


Das Transformationsnetzwerk Nordschwarzwald (TraFoNetz) unter dem Dach der Wirtschaftsförderung Nordschwarzwald (WFG) ist die größte regionale Gemeinschaftsinitiative zur kostenfreien Unterstützung der Automotive-Unternehmen und ihrer Beschäftigten im Nordschwarzwald. Gefördert wird sie vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Ziel ist es, die Transformation im Automobilbereich erfolgreich zu meistern und damit den Standort Nordschwarzwald und die Arbeitsplätze zu sichern.

TraFoNetz-Partner sind unter anderem die Arbeitsagentur Nagold-Pforzheim, die Hochschule Pforzheim, die AgenturQ mit Südwestmetall und IG Metall, die IHK Nordschwarzwald, die Handwerkskammern Karlsruhe und Reutlingen, e-mobil BW, IAB Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung sowie Steinbeis InnoBW, wvib Wirtschaftsverband und weitere.

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