Was braucht’s als erfolgreiche Arbeitgebermarke auf TikTok? „Man muss verrückt sein!“

Mit ihrem TikTok-Kanal hat die Firma Ziehl-Abegg hohen Bekanntheitsgrad erreicht. Besondere beigetragen zu diesem Erfolg haben die Akteure (von links oben) Rebecca Amlung und Sophie Grill sowie Kommunikationschef Rainer Grill. ©Ziehl-Abegg/GerdLache

Von Gerd Lache | 27.12.2023

Rainer Grill ist nicht der TikToker wie man ihn sich gemeinhin vorstellt. Leicht übergewichtig, Anzug mit Firmen-Krawatte und auf die 60 zugehend. So beschreibt er sich selbst. Wenn er an der Seite seines dynamisch-jungen TikTok-Teams durch die Video-Clips watschelt, taumelt und tanzt, ist für die Betrachter klar: Das muss der Chef sein.

Chef ist er, aber eben nicht der Vorstandsvorsitzende des Künzelsauer Familienunternehmens mit 2800 Beschäftigten in Deutschland und global 5100 Mitarbeitenden, die sich mit der Entwicklung und Herstellung von Elektromotoren und Ventilatoren für Industrie und Landwirtschaft befassen. Sondern: Er ist Leiter der Abteilung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.

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VIDEO-Schnitt: GerdLache

Nachdem Grill 2020 in einem Journalisten-Magazin von der chinesischen Plattform und ihrem Potenzial gelesen hatte, war für ihn klar: Das probieren wir aus. Inzwischen spielt er in den Clips den großen Chef, weil die Rolle ins Konzept passt. Und der „Echte“ hat nichts dagegen. Denn der Ziehl_Abegg-Kanal hat Kultstatus und das Unternehmen Bekanntheit erreicht. Gut für die Personalabteilung bei der Suche nach Arbeitskräften.

Im Raum Österreich, Schweiz und Deutschland  hat sich vor allem TikTok-Rainer einen Namen gemacht. „Wir haben es geschafft, eine Marke aufzubauen, ohne über Produkte zu reden. Die Leute nehmen uns als attraktiven Arbeitgeber wahr, obwohl sie gar nicht wissen, was wir machen“, sagt der TikTok-Protagonist beim TraFoNetz-FOKUS in seinem Online-Vortrag auf Einladung des Transformationsnetzwerk Nordschwarzwald. „Hätte mir zuvor einer erzählt, dass das möglich ist, ich hätte gesagt, das funktioniert nicht.“

Es funktioniert: Aktuell folgen mehr als 106.000 Video-Begeisterte dem Kanal „Ziehl_Abegg“. Und in den Kommentaren stehen Bemerkungen wie: „Habt Ihr eine Stelle frei?“ oder „Kann ich remote bei Euch arbeiten?“ oder „Ein richtig schickes Werk habt Ihr!“ oder „Ein frisches, innovatives und sympathisches Unternehmen.“ – um nur einiges zu nennen.

Rainer Grill empfängt die baden-württembergische Wirtschaftsministerin Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut auf der Hannover Messe zu einem Live-Auftritt via Tiktok. ©Screenshot:GerdLache

Allerdings ist die Follower-Zahl jenseits der 106.3k für Grill nicht „die Währung“, sondern vielmehr die Views, also die Zahl derer, die sich die Clips anschauen. Und da kam ein Video schon mal innerhalb von 36 Stunden auf 1,3 Millionen Betrachtungen. Anders als bei Facebook, Instagram oder YouTube bedürfe es nicht einer hohen Followerschaft, um auf satte Abrufzahlen zu kommen, erklärt Grill. „Der Algorithmus von TikTok funktioniert anders“.

Die seiner Ansicht nach „geniale App“ analysiere das Nutzerverhalten und lerne daraus, welche Vorlieben die User haben. Insofern würden ihnen auch Videos von außerhalb ihrer angestammten Follower-Reichweite zugespielt. „Damit kann ich Leute erreichen, die ich sonst nie erreichen würde.“ Beispiel: Schaut ein Nutzer oft Tanz-Videos bis zum Ende an, interpretiert TikTok eine Vorliebe und schlägt ihm andere, ähnliche Tanz-Inhalte vor.

Und wie kommt einer mit seinem TikTok-Faible zu so viel Berühmtheit, dass er zu hochkarätigen Vorträgen im gesamten D-A-CH-Raum eingeladen wird, dass die baden-württembergische Wirtschaftsministerin Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut seiner Einladung folgt, auf der Hannover Messe in einer Live-TikTok-Sendung aufzutreten sowie bei Fachkräfte-Themen auf arte, Spiegel TV, ntv, RTL und sogar in der Heute-Show veritable Sendezeit bekommt? Nach jeder Ausstrahlung ist die Frequenz auf der firmeneigenen Stellenseite nach oben geschnellt. Grill rät: „Ausprobieren, ausprobieren, ausprobieren.“ Sein jüngster Coup, der fortgesetzt wird: Er holte 140 Teilnehmende zu einem großen Social-Media-Fachkongress in die Ziehl-Abegg-Firmenräume.

Zeitaufwand der einzelnen Akteure nach Dienstschluss für die Produktion der TikTok-Videos: ©Screenshot:GerdLache

Unterdessen müssten die Clip-Inhalte zur Firmenphilosophie passen, sagt der TikToker. Insofern gebe es keine 1:1-Patenzrezepte. Dennoch gibt er einige allgemein gültige Ratschläge, auch aus dem eigenen Fehler-lernen:

  1. Auf keinen Fall erreicht man mit TikTok lediglich die jugendliche Zielgruppe, „das war eine Fehleinschätzung von mir“. Man könne durchaus über 30-Jährige erreichen, also Leute, die schon im Berufsleben sind.
  2. Anfangs probiert und schiefgelaufen ist das Zeigen des Firmenlogos in den Videos. Warum? „Die Leute wollen keine Werbung sehen und reagieren sehr empfindlich darauf.“
  3. Und vor allem die klassische PR-Regel beherzigen: Keine Rechtsverstöße dokumentieren. Beispiel: Bei Ziehl-Abegg-Videos kommen keine Alkoholika vor. Dafür hätte ein Mitarbeitender kein Verständnis, der vor kurzem in der Firma wegen Alkohols bei der Arbeit abgemahnt worden sei.
  4. TikTok muss nachhaltig bespielt werden. Bei Ziehl-Abegg waren es anfangs drei Clips pro Woche. Das Konzept: „Wir machen Unterhaltung und Employer Branding.“
  5. Die Akteure müssen für das Thema brennen: „Keiner hat TikTok in seiner Stellenbeschreibung“. Im Gegenteil: Gedreht wird privat nach Dienstschluss. Warum? Das verschaffe dem Team höchste kreative Freiheit, es müsse sich nicht von Marketing, HR oder Vertrieb reinreden lassen. Denn: TikTok funktioniere anders, eingefahrene Marketingmethoden seien da eher hinderlich.
  6. Ein kreativer Mastermind sei unabdingbar. Bei Ziehl-Abegg ist dies Rebecca Amlung, die laut Rainer Grill „wahrscheinlich in der App lebt“. Sie bringe viel Zeit und die Ideen für die Videos ein.
  7. Und nicht zuletzt, so Rainer Grill: „Man muss verrückt sein, sagt meine Frau.“

 Das Transformationsnetzwerk Nordschwarzwald (TraFoNetz) unter dem Dach der Wirtschaftsförderung Nordschwarzwald (WFG) ist die größte regionale Gemeinschaftsinitiative zur kostenfreien Unterstützung der Automotive-Unternehmen und ihrer Beschäftigten im Nordschwarzwald. Gefördert wird sie vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Ziel ist es, die Transformation im Automobilbereich erfolgreich zu meistern und damit den Standort Nordschwarzwald und die Arbeitsplätze zu sichern. TraFoNetz-Partner sind unter anderem die Arbeitsagentur Nagold-Pforzheim, die Hochschule Pforzheim, die AgenturQ mit Südwestmetall und IG Metall, die IHK Nordschwarzwald, die Handwerkskammern Karlsruhe und Reutlingen, e-mobil BW, IAB Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung sowie Steinbeis InnoBW, wvib Wirtschaftsverband und weitere.

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