Von Gerd Lache | 22.10.2024
Aufgewachsen in der Weite des deutschen Nordens, hat Kai Gondlach seine Leidenschaft für das Unbekannte früh entdeckt. Von den Tiefen des Internets bis zu den Weiten des Kosmos hinterfragt, analysiert und gestaltet er die Zukunft mit einer Mischung aus wissenschaftlicher Präzision und nordischer Gelassenheit. Er ist überzeugt: Die Zukunft ist nicht etwas, das uns passiert, sondern etwas, das wir aktiv mitgestalten können. (Link zur kostenfreien Anmeldung am Ende des Interviews.)
Herr Gondlach, Sie leben als gebürtiger Schleswig-Holsteiner aktuell zwar physisch in Ihrer Wahlheimat Leipzig, bewegen sich aber mental-wissenschaftlich längst in der globalen Welt des Jahres 2050. Wie sieht’s aus, da vorne in der Zukunft?
Es gibt 2050 keine Diskussionen über Nachhaltigkeit oder KI mehr – beides ist längst selbstverständlich geworden. Die Gründe dafür sind vielfältig, die Auswirkungen aktuell kaum zu überschätzen.
Unser gesamtes Wirtschaftsmodell wird sich in den kommenden Jahrzehnten zu einer digitalen Kreislaufwirtschaft transformieren. Das bedeutet unter anderem, dass ich kein Auto oder keine Waschmaschine mehr kaufe, sondern sie miete und für die Fahrten oder Waschgänge bezahle. Die Geräte selbst verfügen über einen Zugang zu meinem Profil und kennen ungefähr meine Bedürfnisse und Vorlieben. Die Geräte können mir wirklich hilfreiche Zusatzdienste anbieten. Die werbefreie Version kostet extra.
Gesellschaftlich zeichnet sich ab, dass die Hyperindividualisierung ihren Zenit erleben wird – Werte folgen letztlich auch den Besitzverhältnissen und die werden sich massiv verändern. Die Menschen werden es 2050 total gut finden, weniger als 2024 zu besitzen. Besitz ist schließlich auch eine Bürde. Gemeinwohl wird ein wichtiges Motiv, die Frühanzeichen dafür sehen wir heute längst.
Eine Ihrer kühnen Thesen lautet, dass es Volkswagen in der Zukunftswelt nicht mehr geben wird. Das trifft auch die Automobil-Zulieferer in der Region Nordschwarzwald. Ihre Erklärung dazu?
Wenn die Zulieferer jetzt noch keinen Exit-Plan für die Abhängigkeit von großen Auftraggebern haben, wird es für viele bald noch bitterer. Die deutsche (Auto-)Mobilindustrie hat viele Jahre im Dornröschenschlaf die Renditen einer perfektionierten Produktion geerntet, dabei aber ignoriert, dass insbesondere der chinesische Fünfjahresplan, der ja öffentlich ist, einen Frontalangriff gestartet hat.
Elektromobilität rettet zwar nicht die Welt oder das Klima, aber sie ist ein Marktfaktor und das wurde schlicht verschlafen. Ob es am Ende Volkswagen oder Daimler ist, die 2050 nicht mehr so existieren wie heute, spielt dabei keine Rolle.
Die gesamte Branche ist unter selbst verschuldetem Transformationsdruck, hat aber die Aufbaustruktur maximal resilient und machtgetrieben gestrickt. Obwohl viele Arbeitsplätze und viel Umsatz und damit auch Steuergeld daran hängen, sage ich: Selbst Schuld.
„KI jetzt“ heißt das kürzlich erschienene Buch, das sie gemeinsam mit Mark Brinkmann veröffentlicht haben. Wohin führt uns dieses aktuelle Hype-Thema in den kommenden zwei bis drei Jahrzehnten? Welchen Handlungsbedarf gibt es?
Es ist höchste Zeit, dass sich alle Unternehmen, die entweder Kostendruck oder Arbeits- beziehungsweise Fachkräftemangel als größte Herausforderungen der Zeit spüren, mit sinnvollen KI-Business Cases befassen, statt auch noch den übernächsten Prompt-Engineering-Kurs von Quacksalbern mitzumachen.
Aber: KI ist keine Allgemeinlösung, die einfach und schnell implementiert werden kann; auch deshalb haben wir das Buch geschrieben. Wir benötigen alle Grundwissen über die Funktionsweise und Produktivitätschancen, die in der Technologie beziehungsweise den Technologien stecken.
Ob in der Bäckerei, dem mittelständischen Logistik-Dienstleister oder bei Hidden Champions: Es gibt keine Firma, die nicht davon profitieren kann. Einziger Haken: Die Geschäftsleitung muss bereit sein, Risiken beziehungsweise Investments einzugehen. Doch wenn man es klug angeht, wird sich das garantiert auszahlen.
Angenommen Sie hätten einen Tag lang die Macht, an allen wichtigen Schalthebeln zu sitzen: Was wären Ihre wichtigsten Maßnahmen und warum – eine Frage, die Sie in Ihrem Podcast dem Interviewten stellen?
Das wären drei Dinge: Erstens würde ich für Organisationen einen Crashkurs in Foresight anbieten. Denn die letzten Krisen haben gezeigt, dass die überwältigende Mehrheit der Organisationen in Deutschland nicht wirklich resilient ist. Sie befassen sich zu wenig oder zu wenig seriös mit der Zukunft beziehungsweise den Zukünften. Dabei wissen wir längst, dass vernünftiges Foresight, also angewandte Zukunftsforschung, zu erheblichen Gewinnsteigerungen führt.
Das zweite ist, dass ich Sofortkurse für alle Menschen auf den Weg bringen würde, damit sie mehr Empathie empfinden. Das Fehlen von Empathie ist die Wurzel sämtlicher Konflikte und Machtspielchen der Welt.
Drittens würde ich sämtlichen Entscheidungsträgern die Erkenntnis beibringen, dass die Verteilung von Verantwortung auf untere Ebenen in einer Welt mit durchschnittlich sehr gut (aus-)gebildeten Menschen in jedem Fall die bessere Option ist, als die wichtigen Entscheidungen zu zentralisieren. Das heißt nicht, dass es keine Hierarchien mehr braucht, sondern dass innerhalb neuer Hierarchien die Entscheidungsgewalt deutlich stärker verteilt sein muss – denn das schafft letztlich unter anderem Identifikation mit der Organisation und somit Loyalität.
Machen Sie uns noch ein wenig Lust auf Zukunft: Welchen Nutzwert mit welchen Themen werden wir nach Ihrem Impuls-Vortrag am 19. November beim Transformations-Kongress in Pforzheim mitnehmen?
In neumodernen Begriffen gesprochen, werde ich ein bisschen „out of the box thinking“ mitbringen. Dazu gehört die Story, warum Audi lieber Züge bauen sollte und wie sich Geschäftsmodelle von Herstellern (von OEM bis zu Tier 3) verändern sollten, um mit dem Wandel schrittzuhalten. Die Zukunft hält zahlreiche Chancen bereit, aber wer zu lange wartet, wird abgehängt.
Weitere Informationen und kostenfreie Anmeldung zum Transformations-Kongress am Dienstag, 19. November 2024, im TurmQuartier der Sparkasse Pforzheim Calw mit Kai Gondlach KLICK HIER